One year ago: Corona-Talk mit Prof. Kunze
von Patrick Tauber und Annika Sima
Time flies… ziemlich genau ein Jahr ist es her, als unsere heißgeliebte Uni von einem Tag auf den anderen geschlossen wurde. Der erste ernsthafte Vorbote in Wien für die kommende sehr durchwachsene, kritische Zeit.
Spannenderweise wurde noch genau eine Woche davor ein Interview mit dem emeritierten Prof. Kunze (Sozial- und Präventivmedizin) über das in den Medien präsenter werdende „Corona-Virus“ geführt. Ein Interview, das damals für die geplante Frühlingsausgabe des ÖH-Magazins „Fieberkurve“ geführt wurde, die allerdings aufgrund der Corona-Pandemie nicht erschienen ist – und damit auch das Interview. Nun haben wir es, als interessante und etwas unterhaltsame Anekdote (zum Schmunzeln oder Nase-Kraus-Ziehen), wieder ausgegraben und präsentieren es zum einjährigen Jubiläum des Corona-Virus in Österreich. Reisen wir ein Jahr zurück und sehen uns die damaligen Ansichten nochmal an.
Interview vom 3.3.2020 mit Prof. Kunze
Den Stuck in der Kinderspitalgasse 15 bewundernd stapfen wir die letzten Stiegen zur Abteilung für Sozial- und Präventivmedizin hinauf, um nach Wählen der richtigen Nummer ein fröhliches „Bin scho‘ da!“ durch die Gegensprechanlage zu vernehmen. Gleich darauf bewegt sich ein schemenhafter Schatten auf die milchige Glastür zu. Mit Öffnen derselben tritt uns ein schelmisch grinsender Prof. Kunze entgegen, der uns zur Begrüßung zunickt und den Ellbogen amüsiert entgegenstreckt. Nach einem kurzen Moment des Zurechtfindens gehen wir auf seine Begrüßung ein und stupsen unsere Ellbogen gegen den seinen. „In Zeiten wie diesen“, kommentiert er und ein ironisches Lächeln umspielt seine Lippen. Anschließend werden wir in sein gemütlich eingerichtetes Kammerl geführt. „Hausmeister“ steht in alt verschlungen Lettern auf einem kleinen Holztaferl neben seiner Eingangstür.
Prof. Kunze schickt voraus, dass er in diesem Interview nicht die offizielle Meinung des Rektorats wiedergibt, sondern seine eigene.
Was wissen wir über das Coronavirus (SARS Cov2)?
Coronaviren gibt’s immer schon bei Tieren und bei Menschen. Warum die Aufregung? Weil das neue Coronavirus die Speziesbarriere übersprungen hat. Es kam von einem Tier – bis heute weiß man nicht, von welchem. Schlangen und Fledermäuse waren im Gerede, Pangolini – ich weiß gar nicht, was das ist, so ein Schuppentier [Anm.: Familie der Pholidota]. Weil wenn es die Speziesbarriere überspringt, muss es sich verändert haben, und jetzt sagen die Virolog_innen klarerweise, was macht es dann noch alles? Was wir wissen über Covid-19, also die Corona-Krankheit-19 – die Daten sind aus China: Bei über 80% gibt es einen relativ harmlosen Verlauf, aber alte Leute mit Vorerkrankungen kommen in Bedrängnis und können auch sterben. Erinnert sehr an die Influenza.
Also an sich ist Covid-19 im Public Health Sektor von der Menge der Fälle in Österreich nicht aufregend. Es sind 18 Fälle gerade, as I speak. Wird schon noch mehr werden. [Anm.: Zum Zeitpunkt des Transkripts wurden in Österreich 55 Fälle gezählt (06.03.2020). Die erste Patientin wurde bereits wieder geheilt.] Dann hat also China ganz harte Maßnahmen absolut lehrbuchmäßig durchgezogen, ich nehme an, ohne jemandem nahe treten zu wollen, auch aus politischen Gründen. Sie haben wirklich massivst eingegriffen, ich glaube persönlich auch, weil bei SARS hat man ihnen vorgeworfen, sie haben das verabsäumt, da wurde nicht viel darüber geredet. Dann war da natürlich zusätzlich noch der Arzt, der darauf hingewiesen hat; der wurde gemaßregelt und ist dann gestorben, also eine sehr emotionelle Geschichte. Also, China hat massiv eingegriffen und was ich höre und lese, ist, dass sich bereits die Zahl der Ansteckungen beginnt zu normalisieren, die Zahl der Neuerkrankungen geht angeblich zurück. Also könnte man sagen, diese ganz harten Maßnahmen haben sich ausgezahlt und Wirkung gezeigt. Die sekundären und tertiären Folgen, die Auswirkungen auf die Wirtschaft, sind gewaltig – Reisegruppen, Airlines, Frachtschiffe und alles das.
So, jetzt haben wir natürlich alle gewartet, wann kommt es nach Österreich. Alle haben gesagt, es wird schon kommen, weil wie will man das verhindern. Relativ überraschend war, dass es in Italien losgelegt hat. In Italien ist das wirklich sehr gewaltig und die greifen auch sehr ein. Dennoch haben wir Fälle von dort akquiriert, und nun werden Sie fragen, ist das, was getan wird, auch von Regierungsseite, sinnvoll? – JA. Einfach ja. Case Control zu machen und Contact Tracing und so weiter, ist in der jetzigen Phase sicher noch sinnvoll und hat wahrscheinlich auch Wirkung, das werden wir noch sehen.
Wer handelt da jetzt eigentlich, ist das die Politik selber oder sind das die Ministerien?
Sehr gut, sehr gut. Das Neue für mich ist, mit welcher Energie sich die Politik hineingeschmissen, also sehr involviert, hat. Bundeskanzler, Minister, Einsatzstab, ein Polizeigeneral, stellen Sie sich das vor. Wenn ich jetzt persönlich werden darf – was berührt mich persönlich? Tagungen werden abgesagt, z.B. Mitte März in Athen, darauf habe ich mich schon sehr gefreut, am 7.April soll ich eine Sache leiten und in Paris wäre der größte Infektionskrankheitenkongress in der zweiten Aprilhälfte, da bekomme ich noch die Information, ob das nun stattfindet oder nicht. Was mich persönlich irritierte, wäre, wenn sie mich in Quarantäne nehmen würden. Dann fahre ich irgendwohin und sitze isoliert für 14 Tage, das wäre sehr lästig. Jetzt wird’s spannend, was machen wir mit den Studienbetrieben? Jetzt muss ich zurückfragen, gibt’s da Überlegungen, auch von der ÖH?
Die Frage steht im Raum, wenn man aufgrund einer Erkrankung oder Verdacht auf eine Erkrankung fehlt, wie das gelöst wird. Die ÖH ist in Gesprächen.
Das ist klar. Offiziell kann Ihnen das nur der Rektor oder eine Vizerektor_in sagen, aber es darf
Ihnen keinerlei Nachteil erwachsen, auch wenn Sie nicht zur Prüfung kommen. Der Begriff Quarantäne ist ein ganz definierter Begriff, da sagt die Behörde: „Du musst zuhause bleiben“. Quarantäne ist behördlich angeordnet und wenn Sie in einem Arbeitsverhältnis sind, werden Sie auch weiterbezahlt und der Arbeitgeber bekommt das Geld vom Staat. Schon etwas komplizierter wird es, wenn Sie zuhause bleiben, weil die Uni das sagt. Wenn die Uni sagt: „Ihr sollt nicht am Unterricht teilnehmen“, impliziert das für mich, Ihr seid dafür verantwortlich.
Die Uni Wien hat heute Früh ausgeschickt, dass man in der ersten Einheit möglichst teilnehmen soll, und wenn das nicht möglich ist, eine E-Mail schreiben und die Lehrveranstaltungsleiter sind angehalten, nachsichtig zu sein.
Sie haben die Quarantäne angesprochen, gab’s das früher schon, außer dass einzelne Schulen zugeblieben sind bei Masern?
Quarantäne ist ein Begriff, den’s schon ewig gibt. Die gelbe Quarantäneflagge war schon eine berühmte Sache in der alten Schifffahrt, Sie kennen vielleicht den alten Liedtext „Wir lagen vor Madagaskar und hatten die Pest an Bord“. Das heißt, man durfte in den Hafen nicht einlaufen. Quarantäne bei Masern und Influenza ist ein wesentlich größeres Problem, besonders in Österreich und ist weitaus aufregender. Ich habe noch nie einen Bundeskanzler gehört, der etwas zu Influenza gesagt hätte.
Sie haben jetzt die Influenza angesprochen. Es wirkt so, als ob beim Coronavirus weit mehr Panik herrscht als bei Influenza. Wieso ist das so?
Weitaus mehr. Da gibt’s eigene Studien und Meinungen von Psychiatern dazu – also auf gut Deutsch gesagt: Es ist etwas Neues. Und immer das Neue macht Sorge, Angst oder Furcht. Wobei wir damals in der Psychiatrie gelernt haben, Angst muss in Furcht kanalisiert werden. Frei flottierende Angst ist etwas Furchtbares, ich muss mich vor etwas fürchten. Und es kommt aus China. Und es sind so viele Leute. Und es sind Tiere involviert. Also es ist so ein Cocktail. Und dann natürlich, was auch neu ist, es hat natürlich eine unglaubliche mediale Präsenz. Also jetzt wieder sehr salopp gesagt, ich rede mit Medienleuten darüber, für die Medien ist es ja ein Traum, es ist ein TRAUM! Einschaltziffern steigen, Schlagzeilen – „Die Virus-Hölle“ –, was weiß ich, es kommt zu völlig irrationalen Geschichten wie Nudeln-Kaufen. Angeblich. Leere Regale habe ich noch nicht gesehen. Aber vielleicht gibt’s das wirklich.
Es sollen auch Desinfektionsmittel und Grippemasken ausgehen.
Ja, angeblich, wir haben gerade jetzt neue Desinfektionsspender geordert. Desinfektionsmittel ist auch nicht notwendig, in unserer Situation ist Händewaschen absolut ausreichend. Und möglichst nicht Händeschütteln. Die Frage für die Uni wird schon sein: Menschenansammlungen. Ich lese, dass die Schweiz keine Versammlungen über 1000 Leute erlaubt, die Franzosen über 5000 Leute. Dabei frage ich mich, wo ist die Scientific Evidence? Wieso nicht 1000, nicht 100? Die Uni wird da noch was rausbringen. Um auf Ihre Frage zurückzukommen, die Influenza ist um viele 10er Potenzen das größere Problem. Aber wir sind’s gewöhnt, die Österreicher_innen sind Impfmuffel und Therapiemuffel, was das angeht, aber das andere ist das Neue. Vielleicht ist in 10 oder 5 oder 3 Jahren das Corona entweder verschwunden oder es hat noch fürchterliche Auswirkungen mit Wirtschaftskrisen, oder es ist eine neue Krankheit. Weil SARS und MERS sind verschwunden. Und die große Hoffnung ist, dass es jetzt warm wird, die Viren mögen die Hitze nicht.
Vor dem Corona-Virus gab es bereits einige Epidemien, die in den Medien sehr präsent waren, z.B. die Vogelgrippe oder die Schweinegrippe oder zuletzt Ebola vor 5 Jahren. Verglichen mit diesen Epidemien wirkt das Corona-Virus, zumindest auf mich, trotzdem viel präsenter in den
Medien?
Ja, vollkommen richtig. Ebola war auch präsent, nur Ebola ist so grauslich in der Sterblichkeit, dass wir – unter Anführungsstrichen – nicht gefährdet waren, denn das Virus killt die Übertragungswege. Also es war in kleineren Gebieten, hat dort die Leute getötet und dann war’s halt vorbei. Ebola war auch medial sehr stark, aber es war halt irgendwo weit weg in Afrika. Vogel- und Schweinegrippe war aufregend, dann hat es sich nicht so wild herausgestellt, aber wir haben uns vorbereitet auf 30-40% Sterblichkeit bei einer anderen Vogelgrippe, bei H5N1, und dann kam die Schweinegrippe, die uns am falschen Fuß erwischt hat. Grundsätzlich, Influenza kommt aus Südostasien, viele Leute, viel Wassergeflügel, und plötzlich kommt es aus dem falschen Eck, aus Mexiko und Kalifornien, und noch dazu im Sommer! Niemand hat je daran gedacht, dass es im Sommer von der anderen Seite kommt. Die Aufregung war gigantisch, man hat wahnsinnig viel Geld in der Vorbereitung ausgegeben. Wieder zu Corona: Alle faseln von Impfstoff. Jetzt haben wir keinen Impfstoff, jetzt brauchen wir keinen Impfstoff, das dauert ja ewig, bis der da ist. Auch wenn wir einen Impfstoff jetzt hätten, wir müssten Millionen an Spritzen kaufen, und das wächst ja nicht auf den Bäumen und kann man nicht einfach bestellen. Angeblich werden nun schon Masken um bis zu 20 Euro das Stück verkauft.
Und Desinfektionsmittel bis zu 100 Euro. Flüssiges Gold.
Kunze: Also, Händewaschen reicht aus. Influenza ist ein unglaublich größeres Problem, Hunderttausende Erkrankte (weltweit, Anm.), aber momentan flacht die Zahl in Österreich schon ab. Jetzt bei Corona ist Contact Tracing schwierig, also mit wem hatte der Patient Kontakt und diese Leute verfolgen und aufsuchen, fiebermessen und so weiter. Dann wird’s sicher soweit kommen, dass viele einfach nichts sagen, vor allem, weil sie nicht schwer krank werden.
Prinzipiell zur Influenza: Sie ist eine saisonale Erkrankung. Warum gibt es überhaupt Saisonen bei Viren?
Keiner weiß es so recht. Temperatur, Viren haben es gern kalt. Zweitens, vielleicht sind ein bisschen die ganzen Schleimhäute empfänglicher und drittens, die Distanz zwischen Mensch und Mensch wird geringer, also im Sommer sind wir im Schnitt weiter auseinander, im Winter sind wir enger beieinander. Ist keine Riesenerklärung, aber so ist es. [Anm.: Die Luftfeuchtigkeit dürfte ebenfalls eine Rolle spielen – im Sommer ist die Luft feuchter, die Viruspartikel adhärieren Wasserpartikel, werden schwerer und sinken schneller ab; im Winter ist die Luft trockener, die Partikel sind leichter und können sich weiter verteilen, bevor sie absinken.] Das Besondere, was ich von Virologen über dieses Corona-Virus höre, dass es sich schon weit oben im Atemtrakt vermehrt, SARS im Gegenteil weit unten. Daher ist Corona auch ansteckender. Da gibt’s viele Empfehlungen, 2 Meter Abstand und 15 Minuten Kontakt ist lieb und nett und wird auch in allen offiziellen Meldungen gesagt, aber es hängt ja eher davon ab, ob ich einen riesigen Nies- und Husten-Anfall habe, dann fetzt es da Millionen von Virus-Partikeln mit über 200 km/h auf Sie, und da genügen 10 Sekunden auch. Aber wie gesagt, was die Studentenschaft berührt, ist erstens das mit den Prüfungen und so, und das mit der Angst vor der Krankheit im engeren Sinn weniger.
Was uns als Medizinstudent_innen auch betrifft, ist, wenn Verwandte oder Personen aus dem Umfeld auf uns zukommen und uns fragen: „Du bist Medizinstudent_in, du musst dich damit auskennen.“ Was kann man für eine Antwort geben, wenn man von Verwandten über das Corona-Virus ausgefragt wird?
Ihr seid natürlich auch sehr wichtige Meinungsbildner. Und ich kenne das, „Du hast Medizin studiert, also musst du das wissen.“ – Ja klar. Im konkreten Fall, in 99% der Fälle, was Corona angeht, also Influenza ist einfacher, bevor sie kommt, lasst‘s euch impfen, auch wenn die Impfung keine optimale ist, aber gescheit ist impfen. Und dann gilt wiederum Händewaschen, Händewaschen, Händewaschen. Und wir haben eine Therapie, die auch immer wieder kritisiert wird, aber wenn ich wieder persönlicher erzählen darf, ich habe meinen seligen Eltern stets gesagt: „Wenn die Symptome eintreten, wird Tamiflu eingeworfen, aus, es wird nicht diskutiert, es kann nichts passieren, die einzigen Nebenwirkungen sind Bauchweh“. Keine Maske, kein Medikament, Händewaschen. Das ist der Unterschied zum Covid-19: Da gibt’s keine kausale Therapie. Wenn jemand in Italien rezent war, dann ist er mal 14 Tage in Quarantäne.
Dann sagen wir Danke für das Gespräch und für Ihre Zeit.
Unter lebhaftem Geplauder begleitet uns Prof. Kunze wieder zu der milchigen Glastür, wo wir uns anschließend mit einem höflichen Nicken auf Distanz verabschieden. Der Händeschlag bleibt aus. Man hält sich ja an die Guidelines.
Über den Interviewten
o. Univ. Prof. Dr. med. Michael KUNZE ist Emeritus an der Abteilung für Sozial- und Präventivmedizin an der MedUni Wien. Vor seiner Emeritierung war er außerordentlicher Professor für Hygiene und Mikrobiologie und ordentlicher Professor für Sozialmedizin, Facharzt für Sozialmedizin und Vorstand des Instituts für Sozialmedizin am Zentrum für Public Health.
Postskriptum
Das Interview wurde am 03.03.2020 in Professor Kunzes Büro in der Kinderspitalgasse geführt, das Transkript erfolgte am 06.03.2020. Genau eine Woche später, am 10.03.2020 verkündete das Rektorat die Umstellung auf Distance-Learning. Am 13.03.2020 kam es in Folge von Gerüchten zu Panikkäufen. Am 16.03.2020 verkündete die Bundesregierung den ersten „Lock-Down“.
Abbildungen:
Titelbild: Photo by Martin Sanchez on Unsplash
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