Ich habe heute leider keine Ausbildung für Dich

von Annika Sima

Ausbildungsserie hin oder her – heute habe ich leider keinen Artikel über weitere Ausbildungen, dafür aber über ein heiß diskutiertes Thema der letzten Wochen für Dich. Und: Er passt irgendwie doch ganz herrlich in unsere Serie über die Möglichkeiten der medizinischen Ausbildungen.

Das Thema des heutigen Blogs ist ein alt bekanntes Problem, das nicht nur uns, sondern auch den Jahrgängen davor (und denen davor und denen davor) stressbedingtes Zähneknirschen in der Nacht bereitet hat: Die regelrecht ungerechtfertigten Ungerechtigkeiten in ihren klinischen Praktika, herausgegriffen am Beispiel des Klinisch Praktischen Jahres.

Hintergrund

In Wahrheit sind die Wurzeln dieses Aufbegehrens viel tiefgreifender – denn Studierende der Gesundheitsberufe, sei es Human-, Zahnmedizin, Pflege, Ergo-, Physiotherapie usw. erleben es nicht selten, dass sie in ihren klinischen Praktika nicht auf ihre Kosten kommen (und hier ist nicht einmal von Geld die Rede). Von „ich habe gerade keine Zeit für Dich“ über „schreibst du mal das fertig, ich muss zur Visite“ bis hin zu „kannst du draußen warten, hier ist zu wenig Platz“ sowie persönlichen Schikanen -inklusive sexueller Belästigung, das ist ein anderes (sehr großes!) Thema, welches den heutigen Rahmen sprengen würde- darf man Einiges im klinischen Alltag wegstecken.

Und zu welchem Preis? Dass man sich einerseits inadäquat behandelt fühlt – und andererseits die Ausbildung darunter zu leiden hat. Oft sind die klinischen Erfahrungen abhängig von einigen wenigen, den Studierenden gegenüber wohlgesinnten, Ärzt_innen und Pfleger_innen. (An dieser Stelle ein herzliches DANKE an all diejenigen, die sich die Zeit und Nerven für eine gute Lehre nehmen!) Sonst werden die Studierenden lediglich für die Aufnahme und das Statuieren von Patient_innen, Blutabnahmen und Dokumentationstätigkeiten eingeteilt, was zwar in den ersten zwei Famulaturen ganz cool ist, aber wenn man bedenkt, dass man kurz davor steht, das Studium abzuschließen und anschließend als Arzt_Ärztin bald die Verantwortung über Patient_innen zu übernehmen, ziemlich uncool.

Dabei haben die medizinischen Universitäten in einem approbierten Kompetenzlevelkatalog Ziele für die medizinische Ausbildung festgelegt. Erreicht werden diese Ziele jedoch oftmals nur auf dem Papier, da Studierende nicht zu den fachspezifischen Untersuchungen oder Eingriffen mitgenommen werden, dafür von den betreuenden Ärzt_innen die Ziele unterschrieben bekommen – die wesentlich einfachere Art, den Studierenden einen Gefallen zu tun und eine positive Absolvierung zu gewährleisten. Und wenn einmal eine praktische Möglichkeit in den Raum tritt, fehlt den Studierenden hierzu häufig schlichtweg die Zeit und Kapazität, da diese mit alltäglicher Stationsarbeit eingedeckt sind.

Eigentlich sollten die klinischen Praktika dazu dienen, dass Studierende als Teammitglieder ärztliche Fertigkeiten erlernen, üben und Sicherheit in der Betreuung von Patient_innen gewinnen. Denn man kann noch so sehr die Nase in diverse Bücher versenken, die Praxis kommt halt einfach mit der Übung. Nachdem die Realität jedoch so aussieht, dass sich ständig widerholende Tätigkeiten (z.B. Aufnahme von Patient_innen, Blutabnahmen und Dokumentieren) den Großteil der Ausbildung im KPJ einnehmen, sieht die Ausbildungslage ziemlich trübe aus. Natürlich gehören diese Tätigkeiten auch zum Klinikalltag, jedoch sollte dieses Hamsterradl die Ausbildung nicht zur Gänze ausfüllen. Dafür ist es notwendig, dass für lehrende Ärzt_innen mehr Zeit im Dienstplan vorgesehen wird, um die Patient_innenversorgung mit einem Fokus auf Lehre durchführen zu können. Dafür wiederum müsste das Personal derartig aufgestockt werden, um die Lehrenden zeitlich zu entlasten. Wie auch immer, feststeht: Es braucht eine tatsächliche Ausbildung, nicht nur auf dem Papier.

Ein weiterer Punkt, der von unseren Vorgänger_innen hart erkämpft wurde aber immer noch sauer aufstößt, ist die Aufwandsentschädigung im KPJ. Von der fehlenden Aufwandentschädigung im 72-Wochen-Praktikum für angehende Zahnmediziner_innen und Studierende der Pflegeberufe wollen wir mal gar nicht anfangen.

Die Studierendensozialerhebung von 2019 hat gezeigt, dass Studierende in Österreich im Schnitt €1.016 pro Monat benötigen, um ihre Kosten zu decken. Im Klinisch Praktischen Jahr erhalten die Studierenden in der Regel eine Aufwandsentschädigung von €650 brutto pro Monat (dies entspricht ca. €560 netto). Den Studierenden fehlen somit im Monat mindestens €450, um von ihrem monatlichen Einkommen die Fixkosten/Ausgaben decken zu können. So bleibt den Studierenden keine andere Möglichkeit als von ihrem teils Ersparten zu leben oder nach Dienstschluss einem Nebenjob nachzugehen. Dass dies auf Dauer nicht gut gehen kann im Sinne einer guten Ausbildung oder der Psyche der Studierenden, liegt auf der Hand.

Zusätzlich gestaltet es sich in ländlichen Regionen als schwierig eine kostengünstige Wohnmöglichkeit für den Zeitraum des Praktikums zu finden. (Schon mal was vom Ärzt_innenmangel in ländlichen Regionen gehört? Ist vielleicht mitunter ein Grund, dass wenige Studierende dort Ausbildungsplätze suchen.)

Den Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat, hat schließlich der Umgang mit den Studierenden in der aktuellen Pandemie geliefert. Während Lehrkrankenhäuser durch Verträge mit den Medizinischen Universitäten dazu verpflichtet sind, Studierende in Bezug auf Schutz (Masken, Covid19-Impfungen, etc.) und Rechte den angestellten Mitarbeiter_innen der Krankenhäuser gleichzustellen, erleben Studierende tagtäglich größtenteils etwas anderes. Durch die Pandemie verstärkt sich also, was Studierende schon seit Einführung des Klinisch-Praktischen Jahres in einigen Lehrkrankenhäusern berichten.

Die Rede ist beispielsweise von hygienischer Arbeitskleidung, Spinden, Schutzmasken und Covid19-Impfungen. In der Regel werden Studierende nicht als Teil des Teams gesehen. War man es inzwischen gewohnt, in den Spitälern eh keinen Spind oder eine Aufbewahrungsmöglichkeit für persönliche Gegenstände zu erhalten und teilweise sogar die Patient_innen in Privatkleidung behandeln zu müssen, so haben sich diese Probleme in der Pandemie weiter verstärkt. So haben die Studierenden im März 2020 keine Masken („bringt eure eigenen mit“) oder aktuell von einigen Lehrkrankenhäusern keine Covid19-Impftermine erhalten. Und das, obwohl es größtenteils Medizinstudierende sind, welche die neu aufgenommenen Patient_innen, die zumeist noch auf ein Covid19-Testergebnis warten, auf den Stationen und den Ambulanzen untersuchen und statuieren.

Forderungen #TeildesTeams

Den Lehrkrankenhäuser, sowie deren Abteilungsleitungen und Ärzt_innen, obliegt die Verantwortung, den Studierenden Wissen zu vermitteln und ihnen -bitte- wertschätzend gegenüberzutreten.

Studierende der Gesundheitsberufe sind Teil des Teams und sind daher auch so von Lehrkrankenhäusern und deren ärztlichen Leitungen zu behandeln!

Österreich braucht keine Erhöhung oder gar Verdopplung der Studienplätze. Was Österreich braucht, sind bessere Ausbildungs- und Arbeitsbedingungen während und nach dem Studium, damit Jungmediziner_innen nach ihrem Abschluss in Österreich eine (Ausbildungs-)Stelle antreten.

Daher wurden von der ÖH MedWien folgende Forderungen gestellt:

Ausbildung und Wertschätzung

1. Kollegialer und wertschätzender Umgang mit Studierenden in klinischen Praktika

2. Tatsächliche Ausbildung in ärztlichen Tätigkeiten durch betreuende Ärzt_innen gemäß österreichischem Kompetenzlevelkatalog

3. Dezidiert für Lehre eingeplante Arbeitszeit für lehrendes Personal (wie z.B. KPJ-Mentor_innen)

4. Einhaltung der von der Universität festgelegeten Richtlinien von
− 30 Stunden klinischer Tätigkeit und 5 Stunden Selbststudienzeit pro Woche
− mindestens 3 Stunden Unterricht pro Woche

5. Qualitätssicherung – Nicht-Re-Akkreditierung von Abteilungen, welche die vertraglich mit der MedUni Wien vereinbarten Richtlinien nicht einhalten

Entlohnung und Unterstützungsleistungen

6. Entlohnung der Studierenden in klinischen Praktika in einer Höhe, die eine eigenständige Lebensführung ermöglicht

7. Unterstützung durch Verpflegung, Fahrtkostenzuschuss, Betriebskindergarten, etc.

8. Anbieten einer Unterkunft für Studierende in klinischen Praktika (v.a. in ländlichen Regionen)

Schutz und Rechte

9. Das Bereitstellen von hygienischer Arbeitskleidung und einer Aufbewahrungsmöglichkeit für persönliche Gegenstände

10. Anspruch auf adäquate Schutzausrüstung und Covid19-Impfung

11. Anpassung der Fehltage gemäß „Sechstel-Regelung” der Ärzt_innen-Ausbildungsordnung auf 40 Fehltage im Klinisch Praktischen Jahr

Fortschritte

Die ÖH MedWien ist diesbezüglich in Kontakt mit dem Wiener Gesundheitsverbund (WIGEV) getreten, um eine Qualitätssicherung im Wiener Gesundheitsverbund zu implementieren. Nach Durchführung von zwei Kundgebungen im Rahmen der Protestaktion (siehe unten) vor der Klinik Landstraße und der Klinik Donaustadt wurden die Studierenden in klinischen Praktika nun darüber informiert, dass sie in der Impfstraße der Stadt Wien geimpft werden sollen. Angeblich seien diese und kommende Woche die Anmeldungen dafür geöffnet. (Wir sind gespannt…)

Protestaktionen

Aus diesen Gründen wurde bereits am 02. und 09. Februar 2021 zu Kundgebungen aufgerufen und vor der Klinik Landstraße und der Klinik Donaustadt demonstriert, um dem Unmut über die Situation der Auszubildenden der Gesundheitsberufe Gehör zu verschaffen. Die ÖH MedWien steht für Verbesserungen der Ausbildungen aller Gesundheitsberufe ein, weshalb zuletzt vergangenen Dienstag, dem 02.03.2021, gemeinsam mit den GuK-Studierenden und den Studierenden der SFU Wien auf einem Marsch von der Klinik Landstraße zur Generaldirektion des WIGEV demonstriert wurde, natürlich unter Einhaltung der Abstandregelungen und Wahrung der FFP2-Maskenpflicht.

P.S.: Solange es zu keiner Veränderung kommt, sehen wir uns gezwungen die Öffentlichkeit über die Situation der Studierenden der Gesundheitsberufe zu informieren und für Veränderung einzustehen. Also: Stay tuned für weitere Demos!

Eindrücke vom 02.03.2021

 

Weitere Links

https://kpj.meduniwien.ac.at/allgemeine-informationen/download-kpj-beschluss/ 
https://oehmedwien.at/wir-sind-teildesteams/

Abbildungen

Titelbild: ÖH MedWien, Clara Krimmel
Eindrücke vom 02.03.2021: ÖH MedWien

Fragen, Anmerkungen und Kommentare

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