Gewalt an Frauen und wie sie uns begegnen kann

von Tara Meister

Gewalt an Frauen ist ein gegenwärtiges und gesamtgesellschaftliches Problem. Daran wurden wir leider in den letzten Wochen in Österreich durch die Häufung an Femiziden schmerzlich erinnert. Die Frauenmorde durch Männer sind aber nur der Gipfel von vielen Formen der Gewalt gegen Frauen, die oft subtiler sind und unerkannt bleiben. Zu Gewalt gegen Frauen gehört neben der physischen auch die psychische/verbale, die sexuelle und sexualisierte Gewalt, die finanzielle/ökonomische Gewalt und die Gewalt im Internet. Hinter diesen personellen Formen der Gewalt steht eine strukturelle Gewalt gegen Frauen, die durch eine ungleiche Machtverteilung zwischen den Geschlechtern ermöglicht wird.

Was hat das mit uns als Medizinstudierende zu tun?

Gewalt geht jede_n etwas an und gerade im medizinischen Bereich werden wir auf die eine oder andere Art damit konfrontiert sein. Wir wissen, dass selbst die Täter_innen die Frauen nach Ausüben (schwerer) körperlicher Gewalt oft ins Krankenhaus oder zu einer Ärztin/Arzt bringen. Es ist gut möglich, dass uns irgendwann in einer Ambulanz eine Frau gegenübersitzt, die Opfer von häuslicher Gewalt ist. Sehr häufig ist medizinisches Personal die erste Anlaufstelle nach Gewalterfahrung (ca. bei jeder 3. betroffenen Frau, FRA 2014). Für solche Situationen braucht es eine ganz klare Haltung gegen Gewalt.

Frauen in Gewaltbeziehungen empfinden oft große Angst, Unsicherheit und auch Scham in Bezug auf ihre Erfahrungen. Das macht es für sie in der Regel sehr schwer überhaupt darüber zu sprechen. Umso wichtiger ist es, genau hinzusehen, auf Anzeichen und Hinweise zu achten und das Thema selbst offen anzusprechen. Bei einer EU-weiten Erhebung zu Gewalt gegen Frauen gaben 82% der Befragten an, sich zu wünschen von Ärzt_innen bei Verdacht auf Gewalt adäquat angesprochen zu werden. Medizinisches Personal hat eine wichtige Funktion bei

  • der Früherkennung von Gewalt
  • der Dokumentation von Verletzungen für spätere gerichtliche Verfahren und
  • der Verbindungsstelle zu Hilfseinrichtungen wie Gewaltschutzzentren, Frauenhäusern etc.

Wie erkenne ich, dass eine Frau von Gewalt betroffen sein könnte?

Physische Anzeichen von Gewalt:

  • Hämatome (zB. am Hals)
  • Petechien
  • Blutungen aus Nase oder Ohren
  • Drosselmarke am Hals
  • Spuren an den Armen/Oberarmen durch Fixieren
  • Verbrennungen (zB durch Zigaretten)
  • Bissmarken
  • Spreizverletzungen an den inneren Schenkeln
  • Kratzspuren
  • Widerlagerverletzungen
  • Abwehrverletzungen
  • Frakturen (zB. Rippen, Jochbein)
  • vaginale Verletzungen

Anzeichen verborgener Gewalt:

  • Patientin spielt Verletzungen runter oder versucht sie zu verdecken
  • Erklärungen zu den Verletzungen sind widersprüchlich, lückenhaft oder stimmen nicht mit der Art der Verletzung überein
  • Krankenhausbesuch erfolgt nachts, am Wochenende bzw. außerhalb von Praxiszeiten
  • verschiedene Verletzungen in unterschiedlichen Heilungsstadien

In einer Gewaltbeziehung zu leben hat auf längere Zeit gesundheitliche Folgen. Zu solchen zählen

  • Angst
  • PTBS
  • Panikattacken
  • Chronische Schmerzen (Fibromyalgie)
  • Essstörungen
  • Suizidalität
  • toxische Überlebensstrategien wie Alkohol- und Drogenabusus, Rauchen etc.

Die oben genannten Faktoren können also weitere Hinweise auf Gewalterfahrungen sein.

Auch an der Begleitperson können Hinweise auf Gewalt sichtbar werden, wie

  • der/die Partner_in ist verletzt, an Händen oder Gesicht
  • der/die Partner_in ist überfürsorglich, dominant oder auch aggressiv und besteht darauf, bei der Frau zu bleiben
  • der/die Partner_in beantwortet die Fragen anstelle der Patientin

Ganz allgemein: Es ist wichtig auf das eigene Bauchgefühl zu hören. Drängt sich der Eindruck auf, irgendetwas stimmt nicht, sollte man dem nachgehen.

Was gibt es also konkret zu tun?

Bei Verdacht auf Gewalt sollte dieser immer angesprochen werden. Dafür sollte ein möglich geschützter Rahmen geschaffen werden, beispielsweise in einem Raum, wo nicht ständig jemand rein und raus läuft. Kommt z.B. eine Frau mit ihrem Partner, muss immer darauf bestanden werden, zumindest kurz mit der Frau alleine zu sein! Solche Situationen sind gerade bei schwangeren Frauen häufig und grundsätzlich ist es natürlich schön, wenn Männer sich einbringen und bei den Untersuchungen dabei sein wollen. Gerade weil aber in dieser Zeit auch ein erhöhtes Risiko besteht Gewalt ausgesetzt zu sein, muss die Frau die Möglichkeit bekommen alleine mit dem Arzt oder der Ärztin zu sprechen. Auch eine Sprachbarriere, wo der Mann angibt, übersetzen zu müssen, darf hier kein Hindernis sein – es muss ein_e Dolmetscher_in angefordert werden!

Wie sollte das Thema Gewalt angesprochen werden?

Nachdem ein möglichst geschützter Rahmen geschaffen wurde, könnten folgende Fragen hilfreich sein:

  • „Wir wissen, dass viele Frauen in ihrer Familie Gewalt erleben. Deswegen fragen wir alle unsere Patientinnen danach. Wurden oder werden Sie von einer nahestehenden Person verletzt, bedroht oder gedemütigt?“
  • „Kann es sein, dass Sie von einer anderen Person geschlagen/geschubst/verletzt wurden?“
  • „Wie geht es Ihnen zuhause? Fühlen Sie sich dort sicher?“
  • „Ihre Beschwerden könnten Ausdruck von Belastung sein. Gibt es etwas, das Ihnen viel Stress bereitet?“

Eine gute Einleitung in ein solches Gespräch könnte sein: „Ich mache mir Sorgen um Sie…“ Es geht immer darum, Vertrauen zu schaffen.

Ist der Einstieg in das Thema gelungen, gilt es die Bedürfnisse und die akute Gefährlichkeit einzuschätzen. Dabei können folgende Fragen helfen:

  • „Haben Sie Angst nachhause zu gehen?“
  • „Gibt es Kinder?“ – Wenn ja: „Sind die Kinder zuhause sicher?“
  • „Sind die Gewalttaten in der letzten Zeit häufiger bzw. schwerwiegender geworden?“
  • „Gab es Drohungen?“
  • „Werden/wurden Waffen benutzt?“
  • „Wo befindet sich der Täter/die Täterin gerade?“
  • „Sind Drogen/Alkohol im Spiel?“

Besteht eine akute Gefahr für die Frau, darf sie nicht einfach aus dem Krankenhaus nachhause entlassen werden. Stationär aufnehmen!

Was passiert dann?

Bei Verletzungen (alten und neuen) müssen diese sachgemäß im Dokumentationsbogen für Gewaltverletzungen dokumentiert werden, im Fall von sexueller Gewalt/Vergewaltigung muss mit dem entsprechenden Kit eine Spurensicherung durchgenommen werden. Die Proben werden je nach Situation der Polizei übergeben oder aufbewahrt. Bei schwerer Körperverletzung besteht seit 1998 immer Anzeigepflicht, bei Minderjährigen kommt eine Meldepflicht an die Jugendwohlfahrtsträger hinzu.

Im Akutfall oder wenn Betretungsverbot angedacht wird, sollte die Polizei hinzugezogen werden. Zusätzlich sollte ein psychologisches Gespräch angeboten werden und eine Weitervermittlung an entsprechende Stellen erfolgen.

In österreichischen Spitälern gibt es seit 2011 sogenannte Opferschutzgruppen für Gewaltbetroffene. Diese setzen sich interdisziplinär aus mind. zwei Fachkräften zusammen und sind für die Früherkennung von häuslicher Gewalt und die Sensibilisierung des gesamten Personals zuständig. Wenn ihr später in einem Spital angestellt seid, informiert euch genau darüber, wer die zuständigen Personen sind.

Abschließend bleibt zu sagen, dass es eine verstärkte Sensibilisierung in der Medizin für dieses Thema braucht und klare Haltung gegen Gewalt geben muss.

Wichtige Anlaufstellen:

Autonome Österreichische Frauenhäuser: https://www.aoef.at/, hier gibt es Infos, Zahlen, Daten und sämtliche Links zu Frauenhäusern und Gewaltschutzzentren

Frauenhelpline gegen Gewalt: 0800 222 555, hier können gewaltbetroffene Frauen rund um die Uhr anrufen, aber auch medizinisches Personal kann sich bei Fragen im Umgang mit Gewalt hier informieren

Bund autonome Frauenberatungsstellen bei sexueller Gewalt: https://www.sexuellegewalt.at/

HelpChat für gewaltbetroffene Frauen: https://www.haltdergewalt.at/

Quellenangabe und Empfehlung:

doi: 10.2811/60272
https://fra.europa.eu/sites/default/files/fra_uploads/fra-2014-vaw-survey-at-a-glance-oct14_de.pdf
https://www.aoef.at/

Abbildungen

Titelbild: Bild von Diana Cibotari auf Pixabay
Stop: Bild von Diana Cibotari auf Pixabay

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